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30.12.2025
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Diese sieben Tipps machen (kommunale) Beteiligung besser

Geschrieben von:
Andreas Meinlschmidt
Übersetzt von:
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Klassische Beteiligungsformate erreichen oft nur die „üblichen Verdächtigen“, sagt Andreas Meinlschmidt. Hier schlägt er vor, wie ein Perspektivwechsel auf bisher wenig erreichte Zielgruppen gelingen kann.

AI-Zusammenfassung

„Demokratie heißt, dass sich die meisten Bürger*innen am politischen Geschehen beteiligen.“ Eine Aussage, der 80 % der Befragten in einer Umfrage von More in Common 2021 zustimmten. Gleichzeitig fühlt sich nur gut die Hälfte der Befragten im aktuellen politischen System mit ihren Ansichten „gut vertreten“. Der Anspruch, was Demokratie zu leisten hat, ist groß. Mehr Beteiligungsformate anzubieten, scheint die naheliegende Lösung.

Doch einfach nur mehr Diskussionsrunden und Workshops im Rathaus anzubieten, ist offensichtlich nicht die Lösung. Klassische Beteiligungsformate erschließen keine neuen Zielgruppen. Zu viele Menschen bleiben außen vor. Es wird Zeit für einen Perspektivwechsel und ein Umdenken, wenn es um Partizipation geht.

Es klafft eine Lücke im Beteiligungsangebot

Wer Beteiligungsformate anbietet, trifft vor allem „die üblichen Verdächtigen“ immer wieder: politisch Engagierte, die Freude an Diskussionen haben und sich auch in kontroversen Debatten wohlfühlen. Sie schreiben selbstbewusst Briefe an die Bürgermeisterin oder einen meinungsstarken Leserbrief an die Lokalzeitung. Damit sind sie ohne Zweifel wertvoll für den demokratischen Diskurs – spiegeln aber eben nur einen Teil der Bevölkerung einer Kommune wider.

Auch klassische Veranstaltungen wie Bürgerversammlungen, Informationsabende oder Online-Umfragen sprechen oft genau diese Gruppen an. Sie sind aber selten darauf ausgelegt, Menschen zu erreichen, die aus verschiedenen Gründen bisher nicht oder kaum aktiv werden.

Perspektivwechsel auf die Unsichtbaren

Zu kurz kommen Menschen, die für Beteiligung als „schwer erreichbar“ gelten und daher oft auch „stille Gruppen“ genannt werden. More in Common identifizierte 2019 etwa 30 % der Gesellschaft in Deutschland als das „unsichtbare Drittel“. Dabei handelt es sich vorwiegend um Menschen, die sich politisch distanziert fühlen, wenig Vertrauen in öffentliche Institutionen haben oder sich durch Sprache, Bildung, Zeitmangel oder andere Barrieren ausgeschlossen sehen. Zwar spielen hier auch demografische Merkmale eine Rolle: Es handelt sich oftmals um eher junge Menschen, finanziell Benachteiligte, Personen mit eingeschränkter Mobilität. Besonders ist es aber ein Gefühl von Enttäuschung und fehlender Selbstwirksamkeit, das klassische Partizipationsformate unattraktiv für sie macht.

Eine Beteiligungsarbeit, die diese Menschen erreichen will, muss daher auch einen belasteten Blick auf demokratische Partizipation aufarbeiten. Eine große Rolle spielen hierbei fehlendes Vertrauen in politische Prozesse, wenige Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Unsicherheiten – vor allem in Bezug auf die eigene Position innerhalb der Gesellschaft.

Sieben Hebel für eine verbesserte (kommunale) Beteiligung

Ein Geheimrezept, wie Beteiligungsarbeit mit einer Maßnahme alle Menschen erreicht, gibt es nicht. Doch der Grundgedanke, die eigenen Partizipationsangebote verbessern zu wollen, gewinnt durch den Perspektivwechsel auf bisher wenig erreichte Zielgruppen neue Möglichkeiten. Hier sind sieben Empfehlungen, wie das gelingen könnte:

1. Ergänzende Zielgruppen statt „One-Size-Fits-All“

Was die schwer Erreichbaren besonders macht, ist ihr vielfältiges Profil und ihre unterschiedlichen Bedarfe. Ein Beteiligungsformat, das für eine dieser Gruppen funktioniert, passt nicht automatisch für eine andere. Das heißt: Ein „One-Size-Fits-All“-Ansatz scheitert hier meist.

Zielführender ist das Zusammenfügen verschiedener Formate. Wie ein Puzzle greifen sie ineinander und arbeiten auf ein gemeinsames großes Ganzes hin. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bisherige klassische Beteiligungsangebote durch gezielte Formate zu ergänzen, die speziell auf die Bedürfnisse und Lebensrealitäten des „unsichtbaren Drittels“ abgestimmt sind. So kann man erreichen, dass mehr Menschen sich ernstgenommen fühlen und mitwirken wollen.

2. Erreichbare Ziele statt Rundumversorgung

Zunächst müssen wir allerdings realistisch bleiben: Woran es Kommunen chronisch mangelt, ist Zeit und Geld. Partizipation wird leider oft als einsparungsfähiges Anhängsel eines Entscheidungsfindungsprozesses gewertet – ungeachtet der Potenziale und Ideenschätze, die ein gut gestalteter Beteiligungsprozess birgt.

Im Umgang mit schwer erreichbaren Zielgruppen kann dieser Realismus jedoch von Vorteil sein. Denn ein ehrlicher und transparenter Umgang damit, was in den Möglichkeiten einer Kommune steht (und was nicht), wirkt wie eine willkommene Abwechslung von Versprechungen, die enttäuschte Bürger*innen aus dem Wahlkampf gewohnt sind. Niemand will Luftschlösser, sondern stattdessen erreichbare Ziele innerhalb eines klar gesteckten Zeit- und Finanzrahmens.

Klärt daher im Vorfeld die kommunalen Zuständigkeiten, die euer Partizipationsvorhaben berührt und wer was davon umsetzen kann (und wird). Definiert ein Ergebnisformat, mit dem ihr als Kommune gut und zielgerichtet weiterarbeiten könnt. Eine offene Ideensammlung ist etwas anderes als ein detaillierter Empfehlungsbericht. Wichtig ist dabei nur, dass das Ergebnis nicht von Verwaltungsseite aus gedacht wird, sondern auch für fachfremde Bürger*innen zugänglich ist.

Und schließlich: Gönnt euch und dem Beteiligungsprozess die Zeit und Personalmittel, die er verdient, um zu guten Ergebnissen zu führen. Partizipation ist kein Sprint, sondern ein Marathon.

3. Lebensnahe Themen statt abstrakter Konzepte

Beteiligung ist dann spannend für Menschen, wenn sie Fragen berührt, die für ihren Alltag einen Unterschied machen. Gleichzeitig besteht bei Beteiligungsmacher*innen die Verlockung, die ganz großen Fragen der Gesellschaft in einem kleinen Beteiligungsprozess zu bearbeiten. Denn sobald die Themen zu groß und abstrakt werden, verlieren sie für viele Leute an Attraktivität. Die gesamte Klimakrise lässt sich ebenso wenig in einem Bürgerrat lösen wie gesellschaftliche Spaltung. Alltagsnäher sind die Themen in greifbaren Handlungsfeldern aufbereitet: Die Zukunft des lokalen Naturschutzgebietes, ein Begegnungsort für die Nachbarschaft, ein neuer Stadtteil-Spielplatz.

Umgekehrt kann es auch schwierig werden, wenn das Ergebnis eines Prozesses zu eng gefasst wird. Oder schlimmer noch: Wenn gar der Verdacht einer eindeutigen politischen Färbung aufkommt. Niemand möchte zu einer bereits entschiedenen Sache beteiligt werden oder Parteipositionen nachbeten. Ergebnisoffenheit und die Anschlussfähigkeit für verschiedene politische Auffassungen motivieren deutlich mehr Leute zum Mitmachen.

4. Wertschätzung statt Pflichterfüllung

Das Gefühl, mit der eigenen Teilnahme einen Unterschied zu machen, sollte bei potenziell Interessierten ankommen. Aus Verwaltungssicht mag Partizipation oftmals Pflichterfüllung innerhalb eines langen Arbeitsprozesses sein. Für Privatpersonen konkurriert die Teilnahme an Partizipationsangeboten mit anderen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Niemand möchte Zeit, Arbeit und persönliche Betroffenheit in einen Prozess investieren, der diese Investition nicht wertschätzt. Menschen merken, wenn ihre Meinung nicht ernstgenommen wird und ihre Teilnahme dadurch beliebig ist. Sobald dieser Verdacht aufkommt, erreichen Beteiligungsmacher*innen mit ihrem Anliegen genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich hervorrufen wollen: Statt Motivation und Selbstwirksamkeit entsteht Enttäuschung und Ohnmacht.

Wägt also gut ab, wo und wann euch als Kommune die Einbindung der Menschen vor Ort einen Mehrwert liefert. Arbeitet diesen Mehrwert durch eine gute Veranstaltungsstruktur und Moderation heraus und haltet die Ergebnisse explizit nachvollziehbar aufbereitet fest. Sobald Teilnehmende das Gefühl gewinnen, ihre Stimme wurde gehört – und verschwindet nach der Veranstaltung nicht in einer Schublade – berichten sie anderen Menschen davon. Dieser Respekt vor den Teilnehmenden und ihrem Beitrag sollte das ernstgemeinte Anliegen einer jeden Partizipationsunternehmung sein.

5. Hürdenarme Durchführung statt Teilnahmevoraussetzungen

Zudem lohnt sich ein Blick auf die grundsätzliche Ermöglichung von Partizipationsangeboten. Sowohl das Können als auch das Wollen spielen hierbei eine Rolle.

Teilnehmen kann, wer den richtigen Rahmen vorfindet. Die Berücksichtigung eines günstigen Wochentags und einer mit Beruf und Familie vereinbaren Uhrzeit sind nur ein Aspekt. Wir erinnern uns: Unsicherheiten halten viele Menschen von einer Teilnahme ab. Diese Unsicherheiten durch eine klare und transparente Kommunikation abzubauen, ist die Aufgabe von Beteiligungsmacher*innen.

Weist also explizit darauf hin, dass Angebote kostenfrei sind oder sogar Aufwandsentschädigungen gezahlt werden können. Nicht alle Menschen motiviert allein die Lust an Beteiligung, eine Veranstaltung zu besuchen.

Und nicht zuletzt lassen sich noch andere Hürden abbauen, die für Menschen ein entscheidender Teilnahmefaktor sind: Die Erreichbarkeit durch öffentlichen Nahverkehr, Rollstuhlzugang, Sprachübersetzung und Kinderbetreuung sind einige davon.

6. Vertrauen aufbauen statt Standardprozesse anbieten

Neben dem Können spielt auch das Wollen eine oft unterschätzte Rolle. Beteiligungsarbeit heißt Vertrauensaufbau leisten. Das Rathaus glänzt zwar als würdiger Ort für einen Beteiligungsprozess, bringt aber gleichzeitig auch eine „kulturelle“ Vorbelastung mit: Personen, die von Politik und Verwaltung enttäuscht sind, begegnen diesem Ort mit Skepsis. Auch die Wahl eines Parteibüros, des Traditionswirtshauses oder der Skatehalle als Veranstaltungsort transportieren für sich sehr unterschiedliche, aber spürbare Botschaften. Dies kann man nutzen, um bestimmte Zielgruppen zu erreichen – für andere Personen wirken vorbelastete Orte eher abschreckend.

Weitere Unsicherheiten lassen sich abbauen, indem neben klassischen Gesprächsrunden Formate angeboten werden, in der sich auch Personen wohlfühlen, die ungern im Rampenlicht einer Podiumsdiskussion stehen. Diese vor ein Mikrofon zu zerren und um ihre Meinung zu bitten, löst neue Unsicherheit aus. Prüft daher, ob für euer Beteiligungsangebot zusätzlich eine Mitwirkung in zweiter Reihe möglich ist – zum Beispiel durch die Unterteilung in aktive und zuhörende Rollen.

Macht außerdem schon im Vorfeld deutlich, ob für die Veranstaltung Vorwissen vonnöten ist und wie man sich vorab in das Thema einlesen kann. Auch die Hinzunahme von (lokal) bekannten Personen oder Freund*innen ermutigt unsichere Menschen womöglich, eine Veranstaltung zu besuchen.

7. Kontinuierliche Kommunikation statt Pressemeldungen

Zum Abschluss noch ein naheliegender Punkt, aber – weil es um das Bewerben einer Veranstaltung geht – einen äußerst wichtigen Aspekt: Gute Beteiligungsarbeit steht und fällt mit der Kommunikation. Ein Prozess kann methodisch noch so gut vorbereitet und eingebettet sein, die Teilnahme mag noch so interessant und wirkungsorientiert sein: Wer nicht ausreichend informiert wird, steigt aus dem Prozess aus oder erst gar nicht erst ein. Gute Kommunikation ist daher gleichwertig neben der Organisation des eigentlichen Prozesses einzuordnen.

Ein Aushang im Rathaus und vorformulierte Pressemitteilungen mögen dem hausinternen Kommunikationsstandards genügen. Neue Zielgruppen erschließt damit niemand. Stattdessen lohnt es sich, frühzeitig und kontinuierlich das Thema zu platzieren – sowohl auf etablierten Kanälen als auch auf ungewöhnlichen Kommunikationskanälen.

In der Öffentlichkeitsarbeit für Beteiligungsformate stellt sich oft die Frage, ob breit gestreute oder gezielte Werbung sinnvoller ist. Während eine Streuung viele Menschen erreichen kann, besteht die Gefahr, dass gerade das „unsichtbare Drittel“ sich nicht angesprochen fühlt. Die Botschaften bleiben für sie schlichtweg zu allgemein. Gezielte Werbung dagegen setzt direkt bei spezifischen Gruppen an und kann so besser auf deren Bedürfnisse und Lebenswelten eingehen. Letztendlich lohnt sich ein Mix aus beiden Ansätzen: Breite Werbung schafft Aufmerksamkeit, während gezielte Ansprache die tatsächliche Beteiligung fördert.

Die persönliche Ansprache spielt eine entscheidende Rolle, um Menschen zur Beteiligung zu bewegen. Ein Flyer im Briefkasten wird oft übersehen oder weggeworfen, während ein Gespräch an der Haustür viel direkter wirkt und individuell auf Fragen und Sorgen eingehen kann. So entsteht ein erster persönlicher Kontakt, der Vertrauen schafft und Hemmschwellen abbaut. Fehlt für Haustürgespräche das Budget, sollte zumindest die postalische Einladung personalisiert sein.

Ungewöhnliche Allianzen mit lokalen Vereinen, Initiativen oder Einrichtungen erweitern das Netzwerk und schaffen neue Zugangswege zu bisher schwer erreichbaren Gruppen. Hierbei ist es auch wichtig, Multiplikator*innen aus der Zielgruppe einzubeziehen, die als vertraute Personen agieren und Botschaften glaubwürdig weitergeben können.

Transparenz ist ein weiterer Schlüssel für erfolgreiche Beteiligung. Die Menschen müssen nachvollziehen können, wie ihre Beiträge verwendet werden und welchen Einfluss sie auf Entscheidungen haben. Deshalb hilft es, Etappenziele zu definieren und einen klaren Fahrplan für den Prozess zu kommunizieren. Nach Abschluss einer Beteiligungsphase ist die Nacharbeit besonders wichtig: Ergebnisse sollten offen zurückgemeldet und weitere Schritte kontinuierlich begleitet werden. Nur so entsteht nachhaltiges Vertrauen und eine langfristige Beteiligungskultur kann wachsen.

Partizipation neu denken: Vielfalt erreichen und Vertrauen stärken

Partizipation wird dann wirklich lebendig und wirksam, wenn sie über die „üblichen Verdächtigen“ hinausgeht und auch das unsichtbare Drittel erreicht – jene Menschen, die sich bislang oft ausgeschlossen oder unverstanden fühlten. Das erfordert Mut zum Perspektivwechsel, Offenheit für vielfältige Zugangswege und die Bereitschaft, Beteiligung als langfristigen Prozess mit klaren Zielen, transparenter Kommunikation und echter Wertschätzung zu gestalten. Wer diesen Weg geht, stärkt nicht nur die demokratische Teilhabe, sondern fördert auch das Vertrauen in die eigene Kommune und das Gefühl von Selbstwirksamkeit bei allen Bürgerinnen und Bürgern. So wird Demokratie greifbar, lebendig und ein Stück mehr gemeinschaftliche Gestaltung möglich.

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