Die „richtigen“ Inhalte bedürfen keiner Emotionalisierung. Sie würden allein kraft ihrer Sinnhaftigkeit die Menschen überzeugen. Dieser „Pathos der Nüchternheit“ (Theodor Heuss) ist in Deutschland ein Markenzeichen der postheroischen Nachkriegspolitik, die Emotionsaversion ein fester Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik.
Emotionen werden heutzutage eher bei radikalen populistischen Kräften verortet – verbunden mit dem Vorwurf, sie würden vor allem Angst, Wut und Hass schüren. Doch diese Analyse greift zu kurz. Denn häufig bleibt unbeachtet, dass auch und gerade populistische Kräfte mit positiven Emotionalisierungen arbeiten, ein identitätsstiftendes Wir-Gefühl anbieten und an die emotionalen Lebenswelten ihrer (potentiellen) Anhänger andocken. Wie wirksam diese positive Emotionalisierung für populistische Bewegungen ist, lässt sich längst sehen: So zeigen Studien, dass zum Beispiel das Verhältnis der AfD-Anhängerschaft zu ihrer Partei stärker von Hoffnung geprägt ist als das für die meisten anderen Parteien und deren Unterstützer gilt.
Wut mobilisiert kurzfristig, Hoffnung bindet langfristig. Auch die Nazis gaben vielen Menschen das Gefühl, Teil eines großen Zukunftsprojektes zu sein. Die demokratischen Kräfte der Weimarer Republik hatten dagegen nur ein schwach ausgeprägtes Emotionsangebot. Während sich heute zeigt, dass antidemokratische Kräfte die gesamte Emotionsklaviatur von Angst bis Hoffnung erfolgreich beherrschen, so haben sich die demokratischen Kräfte in ihrer Nüchternheit verschanzt. Dabei dürfen wir in einer Demokratie den Demokratiefeinden besser nicht die Emotionsdominanz überlassen.
Woher kommt die Abneigung gegenüber Emotionen?
Die Annahme, dass Emotionalität der natürliche Feind der Rationalität und somit ein Störfaktor für vernünftige Politik sei, wird häufig aus der Aufklärung abgeleitet. Dabei war es ausgerechnet Immanuel Kant, der Emotionen als „Triebfeder der praktischen Vernunft“ beschrieb. Ihnen kämen positive Funktionen zu, etwa die Herstellung von Aufmerksamkeit oder Motivation zum Handeln.
„Emotionen sind der Türöffner und nicht die Barriere zu reflektiertem Denken.“
Diese Sicht Kants ist erstaunlich nah am Forschungsstand der modernen Neurowissenschaft. In diesem Feld hat sich schon vor vielen Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass menschliche Entscheidungen in einem kongenialen Zusammenspiel von Rationalität und Emotionalität entstehen. Emotionen sind in diesem Teamwork der Türöffner und nicht die Barriere zu reflektiertem Denken.
Hoffnung, Wut und Angst besetzen
Wie also geht demokratische Emotionalisierung in Abgrenzung zur Affektpolitik der Demokratiefeinde? Weil diese Grenzen in der politischen Debatte häufig verschwimmen, lohnt es, sich der demokratischen Emotionalisierung zunächst ex negativo, also anhand undemokratischer Formen, zu nähern. Undemokratische Emotionalisierungen sprechen Individuen oder Gruppen das Menschsein ab (Dehumanisierung), markieren politische Mitbewerber oder Medien als Feinde (Antagonisierung), erheben auf ihre Lügen einen absoluten Wahrheitsanspruch (Wahrheitsmonopolisierung) oder delegitimieren demokratische Institutionen und erklären sie zu Agenturen der Unterdrückung (Demokratieverachtung).
„Demokratische Kräfte müssen mit Ängsten und Wut umgehen, sie integrieren, statt sie kleinzureden.“
Für eine demokratische Emotionskultur und einen wirksamen Ansatz gegen Extremismus und Populismus brauchen demokratische Kräfte ein tiefergehendes Verständnis über die Funktionsweise von Gefühlen für die politische Meinungsbildung im Allgemeinen und über effektive Emotionalisierungen für ihr Politikangebot im Speziellen. Die Emotionsforschung hat hervorgebracht, dass Hoffnung, Wut und Angst die wichtigsten Emotionskategorien für das politische Verhalten von Menschen sind. Demokratische Kräfte müssen alle drei Kategorien besetzen, wenn sie Menschen für sich gewinnen wollen. Das heißt auch mit Ängsten und Wut umzugehen, sie zu integrieren, statt sie kleinzureden.
Mehr Emotionen wagen!
Emotionales Potenzial haben in erster Linie die Verwirklichung und Verletzung von Werten, die Menschen wichtig sind, etwa Gerechtigkeit, Freiheit oder Sicherheit. Emotional ist auch, was real ist, sprich das, was das Lebensweltliche und das Liebgewonnene im Alltag von Menschen berührt. Einige konkrete Anhaltspunkte finden sich in einer Studie, die für das Buch „Mehr Emotionen wagen“ durchgeführt wurde: Die Zustände auf dem Wohnungsmarkt oder die spürbar kaputte soziale Infrastruktur können lebensnahe Themen sein, bei denen sich Menschen auch emotional für politische Vorschläge mobilisieren lassen. Beim Thema Migration können insbesondere konservative Emotionalisierungen von Leitprinzipien wie Ordnung und Rechtsstaatlichkeit überzeugen. Dabei können Emotionalisierungen in bestimmten Themenbereichen sogar über ein breites politisches Spektrum hinweg ansprechen und aktivieren: Beim Thema Klimaschutz stößt etwa die Wut über Ungerechtigkeiten zwischen wohlhabenden Verursachern und ärmeren Leidtragenden der Klimakrise sowohl im „progressiven Lager“ als auch bei rechtspopulistischen Wählern auf hohe Resonanz.
Am Ende sollte demokratische Politik Hoffnung erzeugen. Auch dafür gibt es empirische Hinweise: Wichtig ist ein Zielbild, das beschreibt, wohin man eine Gesellschaft führen will. Zweitens braucht man einen plausiblen Umsetzungsplan, der die Erreichung machbar erscheinen lässt. Und drittens müssen Menschen zu Subjekten des Wandels gemacht werden. Kaum eine Emotion wird in diesen Zeiten mehr von radikalen Kräften ausgebeutet wie das Gefühl des Kontrollverlustes. Hoffnung, ganz egal auf welcher Seite des politischen Spektrums, entsteht jedoch am ehesten, wenn Menschen ein Gefühl des Kontrollgewinns und der Handlungsfähigkeit haben. Veränderungszuversicht entsteht durch Teilhabe.