Kulturkämpfe in Bibliotheken souverän meistern
Welche Strategien sich in Schweden laut einer langjährigen Studie bewährt haben, um als Bibliothek demokratisch und offen zu bleiben.
Foto: Rodion Kutsaiev / Unsplash+
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Haltung zeigen, auch unter Druck: Die PBZ Zürich zeigt, wie Bibliotheken mit Kritik, Kontroversen und gesellschaftlicher Vielfalt umgehen können.
Wir leben in einer vielfältigen, pluralistischen Gesellschaft, in der unterschiedlichste Meinungen, Lebensweisen und Weltanschauungen aufeinandertreffen. Wer in einem solchen Umfeld Orientierung geben möchte, darf und soll klar Stellung beziehen – auch und gerade als öffentliche Bibliothek. Bibliotheken sind Orte des Wissens, des Austauschs und der Meinungsbildung. Wer hier Haltung zeigt, signalisiert Wertebewusstsein und gesellschaftliche Verantwortung. Gleichzeitig macht man sich damit angreifbar. Kritik und Gegenwind sind nicht nur möglich, sondern oft wahrscheinlich. Umso wichtiger ist es, eine Haltung nicht nur zu präsentieren, sondern sie auch unter Druck konsequent zu wahren.
Eine stabile Haltung entsteht nicht von selbst. Sie basiert auf klar definierten Grundsätzen, die von allen Mitarbeitenden verstanden, mitgetragen und gelebt werden. Es lohnt sich daher, innerhalb der Bibliothek über Werte und ethische Leitlinien zu sprechen, diese gemeinsam zu entwickeln und schriftlich festzuhalten. Hilfreiche Orientierung bietet z.B. der Ethikkodex von Bibliosuisse, der anhand konkreter Praxisbeispiele wertvolle Impulse gibt.
Diese Haltung sollte nach aussen sichtbar sein, etwa in Form eines Leitbilds, eines Positionspapiers oder auf der Website. Das schafft Transparenz und Verbindlichkeit: die Kundschaft weiss, wofür die Bibliothek steht, und Entscheidungen zu Veranstaltungen oder Angeboten können leichter konsistent und nachvollziehbar getroffen werden.
Bereits bei der Planung neuer Angebote oder Events lohnt es sich, mögliche Reaktionen im Voraus zu bedenken: könnte das Vorhaben kontroverse Diskussionen auslösen? Wenn ja, sollten Argumente und Erklärungen bereitstehen, die Sinn und Zielsetzung deutlich machen. Ebenso hilfreich ist es, sich auf kritische, auch provokante Fragen („nasty questions“) vorzubereiten. Wer diese Szenarien schon im Vorfeld durchdacht hat, ist bei Presseanfragen oder plötzlichen Kontroversen nicht überrascht und kann souverän reagieren.
Kommt es tatsächlich zu einer öffentlichen Debatte oder gar zu einem Shitstorm, gilt vor allem eines: Ruhe bewahren. Viele Kommentare in sozialen Medien oder Zeitungen sind emotional aufgeladen, einseitig und haben oft nur eine kurze Halbwertszeit. Es ist in den meisten Fällen klüger, gezielt zu kommunizieren, die eigene Haltung sachlich zu bekräftigen und sich nicht in jede Diskussion hineinziehen zu lassen.
Trotzdem gibt es Grenzen, die unbedingt zu respektieren sind. An erster Stelle stehen der Schutz und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden. Niemand sollte sich im Arbeitsumfeld bedroht oder zu unsicher fühlen. Wird diese Grenze überschritten, darf und soll eine Bibliothek Massnahmen ergreifen – bis hin zur Absage einer Veranstaltung. Das ist kein Zeichen von Prinzipienlosigkeit, sondern Ausdruck von Fürsorge und Professionalität. Haltung zu bewahren bedeutet nicht, alle Risiken um jeden Preis in Kauf zu nehmen, sondern verantwortungsvoll abzuwägen.
Die PBZ hat – wie viele andere Bibliotheken auch – in den letzten Jahren erlebt, wie stark gesellschaftliche Diskussionen bestimmte Angebote polarisieren können. Besonders deutlich zeigte es sich bei den Drag Story Times: Drag-Künstlerinnen und -Künstler lasen Kindern Geschichten vor, in denen unterschiedliche Rollenbilder und Lebensentwürfe thematisiert wurden. Die Veranstaltung wurde von Sicherheitskräften und Polizei begleitet, um mögliche Störungen zu verhindern. Tatsächlich beschränkten sich fast alle kritischen Reaktionen auf den online Bereich, während die Veranstaltung vor Ort insgesamt ruhig und positiv verlief.
Auch religiöse Themen führen regelmässig zu Diskussionen. Manche Stimmen bemängeln, dass christliche Werte zu wenig vertreten seien, während andere fordern, Bücher oder Schriften ihrer jeweiligen religiösen Führer in den Bestand aufzunehmen. Hier gilt es, Neutralität und Vielfalt zu wahren, ohne die eigenen Grundsätze zu verlassen.
Ein weiteres Beispiel sind Computer- und Videospiele: Viele Nutzerinnen und Nutzer schätzen dieses Angebot, doch manche Eltern empfinden es als unvereinbar mit ihrem Bild einer klassischen Bibliothek. Auch hier entstehen immer wieder Gespräche und Kritik – aber auch die Chance, die eigene Rolle als moderne, lebensnahe Bibliothek zu erklären.
Eine Bibliothek, die ihre Haltung klar definiert, regelmässig überprüft und offen kommuniziert, verfügt über ein stabiles Fundament. Diese Haltung gibt Sicherheit, gerade in schwierigen Situationen. Sie ermöglicht, gelassen zu reagieren, besonnen zu handeln und nicht bei jedem Gegenwind ins Wanken zu geraten.
Die Investition in diese Grundsatzarbeit lohnt sich in jeder Hinsicht. Wer seine Werte kennt, regelmässig reflektiert und offen vertritt, kann souverän Orientierung geben – und genau das ist eine der zentralen Aufgaben moderner Bibliotheken: Räume für Wissen, Dialog und Respekt zu schaffen, die auch in einer pluralistischen Gesellschaft Halt geben.
Welche Strategien sich in Schweden laut einer langjährigen Studie bewährt haben, um als Bibliothek demokratisch und offen zu bleiben.
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