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20.10.2025
Strategieimpuls
Mission #4

Nur keine Angst vor Fehlern

Geschrieben von:
Lisa Jaspers
Übersetzt von:
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Um Gefühle wie Angst und Scham zu vermeiden, ist die Unternehmerin, Aktivistin und Autorin Lisa Jaspers lange einer Vermeidungsstrategie gefolgt. Jetzt weiß sie: Kritik ist nicht das Ende, sondern ein Anfang.

AI-Zusammenfassung

Wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückschaue, wird mir immer klarer, dass mein schlechtes Selbstwertgefühl ein Grund war, warum ich mich für eine „Weltverbesserin-Karriere“ entschied. Es war verlockend, einen Weg zu wählen, der mir viel äußere Anerkennung versprach. Jahrelang bekam ich Bewunderung für mein Engagement für eine gerechtere Welt. Doch je erfolgreicher ich wurde, desto größer wurde die Lücke zwischen dem Bild, das andere von mir hatten, und dem, wie ich mich wirklich fühlte. Ich hatte Angst, als „Blenderin“ entlarvt zu werden. Nachts lag ich wach, bekam Panikattacken – überzeugt davon, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis alles auffliegt. Ich glaubte, wenn andere mein wahres Ich sehen würden – fehlerhaft, unperfekt –, würde mich niemand mehr lieben. Ich schämte mich für meine vermeintliche Unzulänglichkeit. Hemphill schreibt: „Everyone I’ve known involved in social change carries the story or the face of someone who was not loved by the world.“ – Alle, die Hemphill kennt, die sich für sozialen Wandel engagieren, haben die Geschichte oder das Gesicht eines Menschen, der von der Welt nicht geliebt wurde. Dieser Satz trifft mich im Herzen.

Impact Fragility als Vermeidungsstrategie

Im Zuge meiner inneren Arbeit bin ich auf eine sehr interessante Vermeidungsstrategie gestoßen. Ich entwickelte für mich den Begriff der Impact Fragility, um sie besser benennen und greifen zu können. (Der Begriff der Fragility lehnt sich an das Konzept der White Fragility an, den die US amerikanische Soziologin und Anti-Rassismus-Trainerin Robin DiAngelo geprägt hat. Sie beschreibt damit emotionale Abwehrreaktionen vieler weißer Menschen, wenn sie mit Rassismus, Privilegien oder struktureller Ungleichheit konfrontiert werden – Reaktionen, die aus einer tiefen Unsicherheit heraus entstehen.) Um Gefühle des Selbstzweifels wie Angst und Scham zu vermeiden, überkompensierte ich in meiner Rolle als Weltverbesserin. Mein vermeintlicher Selbstwert hing stark von äußerer Bestätigung ab. Kritik brachte mich schnell aus dem Gleichgewicht, ich ging in Abwehr oder sogar Angriff. Noch heute spüre ich innere Zerbrechlichkeit, wenn meine Wirkung infrage gestellt wird oder ich mit widersprüchlichen Realitäten konfrontiert bin. Meine Impact Fragility zeigt sich subtil – in Aufopferung ohne klare eigene Grenzen, in der Schwierigkeit, mit Kritik umzugehen, und in der Abwertung anderer Lebenswege, die meinen moralischen Maßstäben nicht genügen.

Ich muss mir eingestehen, dass ich lange nicht nur mich selbst, sondern auch andere Menschen abgewertet habe – besonders, wenn sie sich nicht engagierten oder nichts zur Weltveränderung beitrugen. Das machte mich vermeintlich besser, gab mir das Gefühl, zu den „Guten“ zu gehören. Irgendwann saß ich mit meiner Mutter, einer Klimaaktivistin, auf der Couch. Sie kritisierte meinen Mann, weil er mit Freunden ins portugiesische Porto geflogen war. Ich verstand ihre Perspektive – und fühlte mich gleichzeitig unwohl. Ich zog mich innerlich zurück, ärgerte mich über ihre Worte. Und erkannte mich selbst in ihr. Auch ich habe Naomi verurteilt, weil sie mit dem solidarischen Vergütungsmodell kämpfte. (Naomi Ryland, eine Co-Autorin von Lisa Jaspers, Anm. d. Red.)  Oder meinen Mann, weil er ein Tech-Start up gegründet hatte. Ich fühlte mich immer wieder moralisch überlegen – was mein Gegenüber sicherlich als abwertend empfand.

Die Stimme im Kopf

Heute weiß ich: Mein Verhalten wurzelt in – einer tiefen Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe. Besonders kritisch wurde es, wenn ich mit eigenem Fehlverhalten – etwa rassistischen oder patriarchalen Mustern – konfrontiert wurde. Ich konnte mir kaum vorstellen, selbst Teil solcher Strukturen zu sein. Das erschwerte es mir, aus Fehlern zu lernen. Es hinderte mich daran, Kritik anzunehmen und wichtige Stimmen ernst zu nehmen. Ich habe – ohne es zu wollen – ebenfalls Machtverhältnisse zementiert und Perspektiven ausgeblendet. Etwa, indem ich als extrovertierte Person stilleren Menschen den Raum nahm. Vieles davon passiert mir leider manchmal immer noch …

Jetzt ist es endlich raus! Das fühlt sich gut an, irgendwie befreiend. Und auch wenn ich meine Impact Fragility noch lange nicht überwunden habe, erkenne ich sie immer öfter und springe nicht gleich in die Abwehr oder den Kampf. Wenn ich mich beispielsweise kritisiert fühle oder einen Fehler mache und dann starke Gefühle in mir hochsteigen, erinnere ich mich daran, dass die Stimme in meinem Kopf, die mir sagt, dass ich keine Fehler machen darf, nicht meine Stimme ist. Dass durch Kritik die Welt nicht untergeht, selbst wenn es sich gerade anders anfühlt.

Dies ist ein Auszug aus dem Buch „Radical Transformation. Wie das Wissen über Gefühle die Welt verändern kann“ von Lisa Jaspers, Naomi Ryland und Soraida Velazquez Reve. Erschienen 2025 bei Ullstein.

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