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9.9.2025
Strategieimpuls

Öffentliche Bibliotheken – unverzichtbare Räume demokratischer Widerstandskraft

Geschrieben von:
Judith Galka
Übersetzt von:
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Bibliotheken sind Säulen der Demokratie, sagt Judith Galka von der Stadtbibliothek Spandau. Damit sie diese Rolle ausfüllen können, braucht es gute Ideen – und noch viel mehr.

Im Juni 2023 fand in der Münchner Stadtteilbibliothek Bogenhausen eine „Drag Story Hour“ statt – eine Lesung von Drag Queens für Kinder, die auf unterhaltsame Weise vermittelt: Das Leben ist bunt, und du bist okay, wie du bist. Die Veranstaltung konnte nur unter massivem Polizeieinsatz von rund 200 Beamt*innen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Die kleinen Besucher*innen mussten sich vorab anmelden und die Bibliothek durch den Hintereingang betreten, da es heftige Proteste gegen (und erfreulicherweise auch für) die Lesung gab.

Die Bibliothek als sicherer Ort ist nicht mehr selbstverständlich

Die gezielte Infragestellung von Bibliotheken ist kein Randphänomen, sondern Teil einer internationalen Entwicklung. Räume der Wissensvermittlung, Teilhabe und des Austauschs geraten zunehmend unter Druck – durch politische Einflussnahme, wirtschaftliche Verdrängung oder digitale Monopolisierung.

In den USA dokumentiert die Autorenvereinigung PEN America bereits über 16.000 Buchverbote in Schul- und kleineren Öffentlichen Bibliotheken . Die erste schwarze Direktorin der Library of Congress wurde jüngst per E-Mail „im Namen von Präsident Trump“ ohne Erklärung entlassen. Angeblich habe die Bibliothekarin Kindern den Zugang zu für sie ungeeigneten Büchern ermöglicht . In Europa und auch in Deutschland häufen sich Beschwerden, kritische Anfragen zu Beständen, Einschüchterungsversuche oder gar Buchzerstörungen.

„Bibliotheken sind Leuchttürme in einer Gesellschaft, die sich neu orientieren muss.“

Die Bibliothek als sicherer Ort, als Raum für Diversität und pluralistische Erzählungen, scheint nicht mehr selbstverständlich. Während wir abstrakt über Bedrohungen der Demokratie debattieren, tobt der konkrete Kulturkampf längst in den Bibliotheken. Weltweit.

Doch Bibliotheken sind das Gegenteil dessen, was ihre Kritiker fürchten. Sie sind keine ideologischen Orte für wenige, sondern offene Räume für alle – unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Bildungsstand. Sie bieten Raum für Begegnung, Dialog und Teilhabe – dort, wo man sich zuhört, wo respektvoll gestritten, gelernt, gefragt und geteilt wird. Wo Kinder neugierig werden, Erwachsene dazulernen und Ältere ihr Wissen einbringen. Bibliotheken können Orte sein, an denen Neugier, Hoffnung und Gemeinschaftsgefühl entstehen – oder an denen Kompromisse gefunden werden. Sie sind Leuchttürme in einer Gesellschaft, die sich neu orientieren muss. Ihre Verteidigung ist kein technokratischer Vorgang, sondern ein zutiefst politischer und emotionaler Akt. Denn Bibliotheken sind alles andere als neutral im Sinne von gleichgültig.

Spannende Beispielprojekte engagierter Bibliotheken

In vielen Bundesländern beteiligen sich Bibliotheken erfolgreich an Demokratiefestivals, kontextualisieren ihren Medienbestand und treten in den Austausch mit ihrem Publikum. Dabei entstehen kreative Formate und neue Allianzen mit der Zivilgesellschaft. Unterschiedliche Beteiligungsformen werden erprobt, Perspektiven geteilt und erweitert.

Ganz konkret kann das so aussehen: Buchpräsentationen zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen – etwa zum Nahostkonflikt – werden mit Dialogveranstaltungen begleitet. So funktioniert als Beispiel das Israel-Palästina-Projekt von Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, das nicht nur in Schulen aktiv wird, sondern auch für Erwachsene offen ist.

Oder Bibliotheken bieten Demokratie-Trainings an – als „Fitnessprogramm“ für Meinungsfreiheit, Debattenkultur und Konsensfindung. In Zusammenarbeit mit Vereinen, Fachleuten der politischen Bildung und der Erwachsenenpädagogik. Auch interaktive Formate wie Planspiele, Escape Games oder Showformate vermitteln auf unterhaltsame und emotionale Weise Inhalte zu Desinformation, Verschwörungsmythen oder politischen Entscheidungsprozessen – offen für alle und kostenlos.

Was Bibliotheken jetzt brauchen

Bibliotheken sind unverzichtbare Säulen unserer Demokratie. Damit sie diese Rolle ausfüllen können, braucht es mehr als gute Ideen: Es braucht gute Arbeitsbedingungen. Die Mitarbeitenden müssen fachlich und in Konfliktbewältigung geschult sein. Es braucht stabile Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Partnern und politische Rückendeckung – nicht nur symbolisch, sondern konkret und strukturell. Wenn wir demokratische Räume schützen wollen, müssen wir Bibliotheken stärken – als Nutzer*innen, als Bürger*innen, als Gesellschaft. Denn ohne diese Orte der Vielfalt, des Wissens und der Begegnung wird es still. Zu still.

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